Nicht gefeuert werden,
ist auch keine Lösung.

Ein Plädoyer für etwas mehr Phantasie. 

04. März 2021

In den 70er Jahren gab es den schönen Satz »Nobody gets fired for buying IBM«. Wer auf Bewährtes setzt, minimiert die Gefahr zu scheitern – und nicht zu scheitern ist der erstbeste Schritt zur nächstbesten Beförderung. Ein Anreizsystem, das bis heute wenig an Reiz verloren hat. Belohnt wird Verhalten, das sich im volatilen Weltgeschehen bewährt hat und risikoarm scheint. Kurz gesagt: Unsere Systeme incentivieren Phantasielosigkeit.

»Phantasie ist per Definition ziellos – und wahrscheinlich deshalb heute nicht ganz so en vogue.«

Tagträume von Flusspferden im Eissalon, vom schwarzen Loch im Milchkaffe, von einem CO2-Regenbogen, kurz Manuel Neuer sein: Phantasie ist die Fähigkeit, Gedächtnisinhalte zu neuen Vorstellungen und inneren Bildern zu verknüpfen. Sie ist der von jeglicher Realität losgelöste große Bruder der Idee. Denn die allseits beliebte Idee vermählt zwar ebenfalls grundverschiedene Dinge zu etwas Neuem, aber zu etwas Nützlichem. Phantasie ist per Definition ziellos – und wahrscheinlich deshalb heute nicht ganz so en vogue.

Zu unrecht, denke ich. Denn wenn sie von etwas Ratio in Ideen gegossen wird, ist Phantasie das Substrat ziemlich aller außergewöhnlichen Dinge der Weltgeschichte: ohne sie keine Erkenntnis, kein Apple, kein Ackerbau oder Clubhouse. Oder andersrum und in Marketingjargon gedacht: Ich glaube, Phantasie ist »Top of the Funnel« in jeglichem Innovationstrichter. Je mehr davon da ist, desto mehr und bessere Ideen entstehen und können am Ende in noch nie dagewesene Dinge konvertiert werden.

»Das Paradoxe: Obwohl per
Definition ziellos, ist Phantasie
auch ein Navigationswerkzeug.«

Was etwa vor 150 Jahren nur eine von vielen kleinen Phantastereien im Kopf des großen Jules Verne war, wurde 90 Jahre später zu einer gigantischen Idee und nochmals ein Jahrzehnt danach zum Ereignis des Jahrhunderts: ein Mensch am Mond. Das Paradoxe: Obwohl per Definition ziellos, ist Phantasie damit auch ein Navigationswerkzeug. Wir brauchen sie, um nicht abzurutschen in ein orientierungsloses »Wollen, was andere tun« und »Tun, was andere wollen«, wie das der Psychologe Viktor Frankl so treffend formuliert hat.

Phantasie hilft uns dabei, über IBM hinauszudenken, über die erstbeste, einfachste und risikoärmste Idee. Sie hilft uns dabei, eigenständige und ambitionierte Lösungen und Ziele zu ersinnen – den Mond zum Beispiel. Und als Voraussetzung für Empathie hilft sie uns dabei, nicht nur wirklich einzigartige Lösungen zu finden, sondern auch solche mit einem tiefen Verständnis für die Probleme und Bedürfnisse anderer Menschen. Das ist großartig – und die Grundidee sinnvollen Wirtschaftens.

Die Frage ist: Wie könnten wir Biotope schaffen, die künftig ein mehr an Phantasie belohnen? Und wie könnten wir uns im Phantasieren üben? Denn wenn wir heute etwas lernen müssen, ist es das Ziellose zuzulassen, das in erster Instanz Nutzlose, Abwegige und Unmögliche. Gerade das sind nämlich Türen, zu wirklich einzigartigen Ideen und fantastischen Lösungen. Die könnten wir aktuell auch ganz gut gebrauchen. Und außerdem: Nicht gefeuert werden, ist auch keine Lösung.

Vive l’imagination.

Fotocredit: Emile Guillemot, unsplash.com

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